Zum 150. Jubiläum der Gleichberechtigung der Schweizer Jüdinnen und Juden lancierte der SIG eine Wanderausstellung. Die Porträts von fünfzehn jüdischen Menschen zeigen, dass Jüdinnen und Juden heute fester Bestandteil der Schweiz sind.

1866 wurde die jüdische Gemeinschaft der Schweiz als nationale Minderheit anerkannt, wodurch Jüdinnen und Juden die gleichen Rechte erlangten wie die anderen Bürgerinnen und Bürger. Zu diesem Jubiläum hat der SIG eine Reihe von Veranstaltungen lanciert, darunter die Fotoausstellung «Schweizer Juden: 150 Jahre Gleichberechtigung». Für die Wanderausstellung wurden vom bekannten Berner Fotografen Alexander Jaquemet fünfzehn ausgewählte jüdische Persönlichkeiten in ihrem Alltag fotografiert. Die Auswahl bildet einerseits die Vielfalt unter Schweizer Jüdinnen und Juden ab. Andererseits veranschaulichen die Bilder und Personenbeschreibungen, dass Jüdinnen und Juden heute ein fester Bestandteil der Schweizer Gesellschaft sind. Die Ausstellung wanderte 2017 und 2018 durch die Schweiz.

Vera Rottenberg, ehemalige Bundesrichterin

15. August 1944, Zollikon

Die Emanzipation, der Aufbruch zur Gleichberechtigung, hat mir als jüdischer Frau gleich zweifach den Weg geebnet: Als mein Leben 1944 in Budapest begann, gab es für mich keinerlei Recht. Erst mit der geglückten Flucht in die Schweiz, in der die Juden rechtliche Gleichstellung genossen, fand für mich die staatlich verordnete und bereitwillig praktizierte Diskriminierung ein Ende. Gerettet hat uns damals der Schweizer Gesandtschaftssekretär Harald Feller, der unsere Flucht von Budapest über Wien bis in die Schweiz, die ursprüngliche Heimat meiner Mutter, organisiert hatte. Ich konnte im St. Gallen der 1950er- und 1960er-Jahre ohne obrigkeitliche Ausgrenzung aufwachsen. Allerdings entwickelte ich eine hohe Sensibilität gegenüber Ungerechtigkeiten jeglicher Art, die ich in meinem Umfeld zu erkennen glaubte. Dass ich das Studium der Rechte wählte, lag daher nahe. Meine Laufbahn in der Schweizer Justiz wäre aber nicht möglich gewesen, wäre es 1971 mit der Ausweitung des Stimmrechts nicht auch zur Emanzipation der Frauen gekommen. Auch diese Emanzipation hat mein Leben geprägt und die Voraussetzung dafür geschaffen, dass ich mich überhaupt zur Richterwahl stellen durfte. So kam es, dass ich mein ganzes Arbeitsleben an den Gerichten dieses Landes verbrachte, darunter 18 Jahre am Bundesgericht in Lausanne, und stets mit Leidenschaft die schweizerische Rechtsprechung mitgestaltete.

Jean Paul René Lob (J. P. Love), Entertainer

Alter «je nach Tagesform», Bern

Wenn die Lichter angehen und die Kamera läuft, dann bin ich in meinem Element, dann wird aus Jean Paul Lob die Kultfigur J. P. Love: Ich bin Partysänger, Talkmaster, Erotikstar und vieles mehr, je nach Rolle, in die ich schlüpfe. Meine Figur J. P. Love polarisiert, ich weiss. Aber vielleicht schwingt auch ein bisschen Neid mit, weil ich genau das mache, was andere gern tun würden. Dabei hatte auch ich einst ein ganz bürgerliches Leben, war Banker und als Devisenbroker Direktor in einem renommierten Finanzinstitut. Erst später bin ich über meine Vorliebe zur Travestie in die Erwachsenenunterhaltung gerutscht. So wurde ich der erste jüdische Erotikstar der Schweiz – mit einer eigenen Fernsehshow im ganzen Land bekannt. In der Entertainmentbranche ist meine Herkunft kein Thema, und auch in der jüdischen Gemeinde empfängt man mich offen, denn meine kulturellen Wurzeln sind stark. Ob Transgender oder Homosexuelle – vielleicht hat es gerade mit diesen jüdischen Wurzeln zu tun, dass ich mich für Minderheiten einsetze. 150 Jahre Emanzipation – Gleichberechtigung braucht es nicht nur für Juden.

Jonathan Schächter, Moderator

1. März 1982, Zürich

Fussball ist mein Lieblingssport. Seit anderthalb Jahren moderiere ich eine Fussball-Talkshow im Fernsehen, seither ist das runde Leder zum eigentlichen Lebensinhalt geworden. Es fasziniert mich, wie individuelles Können gleichermassen gefragt ist wie Teamarbeit. Auf dem Feld kommt man nur zum Ziel, wenn alle mitziehen, und trotzdem kann ein Einzelner den Unterschied machen – wie im richtigen Leben. Früher waren in Zürich die meisten Juden begeisterte Anhänger des FCZ, denn beim Stadtrivalen GC wurden die Juden als Mitglieder bis in die 1950er-Jahre ausgegrenzt. Diese Zeiten sind längst vorbei, und GC hat in den letzten Jahren viel gemacht, um sein Image zu korrigieren. So war GC der erste Club, der einen israelischen Spieler engagiert hat. So oder so: In keiner Sportart wird so viel gegen Fremdenfeindlichkeit gemacht wie im Fussball, und keine Sportart verbindet Menschen so wie Fussball. Das zeigt sich bei der Schweizer Nationalmannschaft: Wenn es um Integration und Assimilierung geht, dann sind diese jungen Schweizer, deren Eltern aus den verschiedensten Ländern kommen, Vorbild für unsere ganze Gesellschaft. Auch, wenn es um Fleiss und Einsatz für unser Land geht – hier könnten sich viele Alteingesessene an den Secondos ein Beispiel nehmen.

Marc Bloch, Pensionierter aus der Agroindustrie (Kaffee)

6. März 1950, La Chaux-de-Fonds

La Chaux-de-Fonds, diese aussergewöhnliche und spezielle Stadt, übte Ende des 19. Jahrhunderts eine starke Anziehungskraft auf viele Neuankömmlinge aus. Unter den Migranten, die zu dieser Zeit in die Stadt einwanderten, befanden sich einige Juden aus dem Elsass, aus Deutschland und später aus Russland und Polen. Diese spielten in der Entwicklung der Stadt eine wichtige Rolle, indem sie die lokale Uhrenindustrie mitaufbauten. Zu nennen wären etwa grosse Markennamen wie Movado der Familie Ditesheim, Invicta von Maurice Picard oder Ebel von Eugène Blum. Andere Familien, wie die Familie Bloch mit ihrem Laden Au Printemps, waren im Detailhandel aktiv. Auch das Engagement von Georges Braunschweig darf natürlich nicht vergessen werden, der mit dem berühmten Club 44 einen Begegnungsort gründete, der bis heute die Weltoffenheit und Dynamik dieser peripherischen Stadt nach aussen trägt. Heute ist es richtig und wichtig, daran zu erinnern, dass es für uns Juden zuerst keine Gleichberechtigung gab. Erst musste de facto das Ende der theokratischen Staaten abgewartet werden, bevor die moderne Welt samt Religionsfreiheit, welche wir auch heute noch verteidigen müssen, entstehen konnte. Ich wurde 84 Jahre nach der Anerkennung dieser Rechte geboren, und ich muss zugeben, dass sie mir immer selbstverständlich vorgekommen sind. Das Jubiläum in diesem Jahr ist darum wichtig, weil es uns Juden, aber auch andere Minderheiten wie die Schwarzen, die Homosexuellen oder die Ausländer ganz generell daran erinnert, dass es viel Zeit und Geduld brauchte, bevor wir als normale Bürger anerkannt wurden.

David Goldblum, Leitender Arzt Universitätsspital Basel

5. Juli 1970, Basel

Bereits als Kind wollte ich «Menschenarzt» werden, jemand, der anderen hilft und sie heilt. Und so wurde ich Arzt, spezialisiert auf das Auge. Denn in unserer visuell geprägten Welt ist das Auge einer der wertvollsten Körperteile überhaupt. Meine Arbeit am Universitätsspital ist intensiv, gewiss, und wenn nötig, stehe ich an jedem Wochentag und zu jeder Tageszeit im Operationssaal. An den hohen jüdischen Feiertagen nehme ich jedoch frei. Dies hat nichts mit Religiosität zu tun, denn ich bin ein säkularer Mensch, aber das Zusammensein mit meiner Familie ist mir wichtig, genauso wie das Bewusstsein für die eigene Herkunft. Mein Vater, der orthodox aufgewachsen ist und aus Polen stammt, ist nach dem Krieg als Flüchtling in die Schweiz gekommen. Der Schweiz, meinem Heimatland, bin ich deshalb für ihre humanitäre Tradition dankbar. Migrantinnen und Migranten unterschiedlichster Herkunft und Religion haben hier nicht nur Zuflucht gefunden, sie haben die Schweizer Erfolgsgeschichte auch massgeblich mitgeschrieben. Gerade darum ist es mir unverständlich, dass viele Bürgerinnen und Bürger heutzutage Angst vor der Migration haben und diese nicht auch als Chance verstehen.

Talia Wigger, Doktorandin der Rechtswissenschaften

5. Januar 1988, Genf

Ein Spaziergang auf dem Flohmarkt ist für mich eine Form der Selbstbeobachtung: All diese bunt gemischten Gegenstände, die eine lange Reise hinter sich haben, symbolisieren irgendwie die Geschichten meiner Familien. Meine Mutter ist Israelin, eine Sabra, deren Eltern aus dem Yemen stammten. Mein Vater ist Deutschschweizer, Christ, und ein direkter Nachfahre von Bruder Klaus in der sechzehnten Generation. Eine Mischung, die verwirrend erscheint, solange man sie nicht näher betrachtet. Als jemenitische Jüdin bin ich Teil dieser etwas atypischen Gemeinschaften: Als Sefardin habe ich Freude am Geben und Nehmen und zeige viele Emotionen. Als Aschkenasin bin ich anständig, meide die Beleidigung. Die sefardischen Juden sind erst Anfang 20. Jahrhundert in die Schweiz gekommen und brachten andere Gepflogenheiten mit sich als die aschkenasischen Juden, welche sich bereits gut in ihrer Schweizer Heimat eingelebt hatten. Auch wenn die Integration der sefardischen Juden meines Erachtens erfolgreich verlaufen ist, wird das Erbe dieser Gemeinschaft mit Stolz und Sorgfalt gepflegt. In meiner Familie, in unserem Zuhause, sind die Wärme, die Farben und der Wohlgeschmack des Orients täglich spürbar. Aber der Anstand lehrt uns, unser Judentum vor allem für uns selbst zu leben – und voller Stolz Schweizer zu sein, was wir auch nicht verheimlichen.

Ruth Dreifuss, alt Bundesrätin

9. Januar 1940, Genf

Mein Familienname, Dreifuss, ist unverkennbar ein jüdischer Name. Meine Beziehung zum Judentum ist nicht religiös, sondern vielmehr von der jüdischen Geschichte und Kultur geprägt. Mindestens ebenso stark wurde ich jedoch von der Geschichte der Demokratie und des Sozialismus sowie von der Entwicklung der modernen Schweiz beeinflusst. Für mich ist die Tatsache, dass ich 1993 zur Bundesrätin gewählt wurde, der Beweis, dass die Frage der Religionszugehörigkeit schon damals nicht mehr die gleiche Rolle spielte wie noch ein paar Jahre zuvor. Trotzdem gibt es immer noch Menschen in der Schweiz, die ein verzerrtes Bild der Juden haben, oft sogar unbewusst. Es gibt auch eine Vermischung zwischen Israel und den Juden in der Schweiz. Oft werden Letztere für Entscheide der israelischen Regierung verantwortlich gemacht, eine Art Sippenhaftung, die ich strikt ablehne. Heute sind es andere Gruppierungen als die Juden, die am meisten Ausgrenzung und Diskriminierungen erfahren. Für diese Minderheiten, namentlich für Muslime, kann die Emanzipation der Juden vor 150 Jahren Sinnbild und auch Vorbild sein. Gleichberechtigung wird einem nicht geschenkt, sondern auch mit Hilfe von Verbündeten erkämpft – dies lehrt uns unter anderem die jüdische Emanzipationsgeschichte.

Martin Mürner, Hornist und Restaurator

22. September 1958, Bern

Ich bin ein jüdischer Alphornbläser, und für mich heisst das Instrument auf «Jüdisch» Schofar gadol (grosses Widderhorn). Im Monat Elul, vor Rosch Haschana, dem jüdischen Neujahr, spiele ich wie viele traditionelle Juden jeden Morgen das Schofar, es soll uns aufwecken und in die Stimmung des Neuanfangs bringen. Auch mit dem Alphorn kann ich Emotionen wecken, und da es viel länger ist als das Schofar, kann man Melodien spielen. Mit unserem Alphornquartett spielen wir traditionelle Schweizer Volksmelodien, selber arrangierte und komponierte Stücke, moderne und experimentelle Stücke bis hin zum Jazz. Wir spielen auch jüdische Melodien, dazu brauchen wir Alphörner in verschiedenen Längen. Viel Genugtuung bereitet es mir, wenn es gelingt, Verbindungen zu schaffen: ländlich–urban, alt–modern, schweizerisch–jüdisch, wobei Letzteres ein bisschen provokativ gemeint ist. Mich interessiert immer zuerst der Urtext; in meinem Hauptberuf als Orchestermusiker spielen wir der Epoche und der Herkunft der Musik gemässe Instrumente. Der originale Notentext ist sehr wichtig für eine inspirierte Interpretation. Was mir im Judentum sehr gefällt, ist, dass wir den Text (Tora) schon seit Urzeiten im Urtext lesen und erst danach zu den verschiedenen Auslegungen kommen. Etwas mehr Mut zur Anpassung an eine moderne Welt, zum Beispiel die Gleichstellung der Frau im Judentum, würde ich mir wünschen.

Edna Epelbaum, Kinounternehmerin

4. Juli 1972, Biel

Im Alter von drei Jahren besuchte ich den Film «Heidi» mit Heinrich Gretler als Alpöhi. An der Hand meiner Mutter ging ich in den dunklen Kinosaal, wo ich in die Geschichte eintauchte. Ich lachte, zitterte und fieberte mit der Protagonistin mit. Dieser Kinobesuch, dem noch viele folgen sollten, war der Anfang meiner grossen Leidenschaft für das Kino und den Film. Meine zweite prägende Kindheitserinnerung gilt der jüdischen Tradition: Pessachabend – als jüngstes Familienmitglied lag es an mir, das «Ma Nishtana» vorzusingen. Ich erinnere mich, wie aufgeregt ich war, auch, weil der Geruch der traditionellen Speisen und der Traubensaft in meinem Glas eine wunderschöne festliche Stimmung verbreiteten – eine Stimmung, die meine jüdische Identität bis heute prägen sollte. Pessach und Heidi – Kino und Judentum sind für mich eng mit den Begriffen Heimat und Tradition verbunden. Um Traditionen zu leben, gilt es immer, das Alte mit dem Neuen zu verknüpfen. Die Auseinandersetzung mit anderen Geschichten, anderen Lebensweisen und anderen Perspektiven auf der Leinwand sowie das Aufwachsen als Teil einer Minderheit in der Schweiz haben mich gelehrt, den Blick über die Grenzen zu richten. Das Verstehen der eigenen Geschichte gelingt erst durch das Verständnis für andere Geschichten. Meine Verbindung zum Film und zum Judentum ist immer auch mit positiven Visionen verbunden und der Hoffnung, dass diese Realität werden.

Joel Basman, Schauspieler und Modedesigner

23. Januar 1990, Zürich

Die Stoffe, die Farben, die Schnitte, die Kleider: Dieses Atelier ist wahrlich mein Zuhause. Dass ich inzwischen selber eine Männerkollektion designe, habe ich allein meinen Eltern zu verdanken, die mir das ganze Schneiderhandwerk beigebracht haben. Meine Mutter stammt aus einer katholischen Familie aus Sursee, mein Vater aus einer jüdischen Familie aus Petach Tikwa in Israel – zwei Dörfer, in denen die Religion eine prägende Rolle spielt. Obgleich bei mir die Frage der Religionszugehörigkeit bei Begegnungen mit anderen Menschen keine Rolle spielt, erstaunt mich immer wieder, wie andere einen stets einzuordnen versuchen. So wurde ich schon in der Primarschule, obgleich ich keine Kippa trage oder sonst wie mein Judentum gegen aussen zeige, von Mitschülern zum «Juden» gemacht. Umgekehrt gibt es auch in der jüdischen Gemeinschaft diesen Drang nach der Etikettierung, mit der Frage, ob man streng nach Religionsgesetz jüdisch sei oder nicht. Dabei ist doch die Frage der Identität so viel komplexer. Dass ich mehrsprachig, mit Deutsch und Hebräisch, aufgewachsen bin, hilft mir heute in der Schauspielerei, kann ich doch Dialekte und Fremdsprachen rasch übernehmen. Gleichzeitig helfen die verschiedenen Identitäten, mich in andere Rollen zu versetzen: Verschiedene Kulturen in sich zu tragen, ist also eine Bereicherung. Manchmal denke ich bei all dem Hass und gegenseitigen Unverständnis auf dieser Welt, dass sich Menschen unterschiedlichster Herkunft ganz gezielt zusammentun und Kinder machen sollten, damit sich ihre eigenen Vorurteile in Luft auflösen – aber dies ist wohl ein gar utopischer Gedanke.

Naomie Chriqui, Unternehmerin

7. Oktober 1969, Zürich

Seit vierzehn Jahren verkaufe ich zusammen mit meinem Mann Falafel in Zürich. Manchmal kommen Touristen aus den Golfstaaten, die meinen Mann, einen Juden mit Wurzeln in Marokko, für einen Araber halten. Mich hingegen fragen wegen des Aussehens viele, ob ich Israelin sei, dann sage ich: «Nein, ich bin Schweizerin.» Meine Mutter stammt ursprünglich aus Holland. Dass sie jüdisch ist, hat sie mir bis zu meinem sechzehnten Lebensjahr verschwiegen – heute weiss ich auch, warum: Während des Krieges hat meine Mutter als jüdisches Kind nur darum überlebt, weil sie in Amsterdam versteckt worden war. Ihre Mutter, meine Grossmutter, wurde deportiert und in Auschwitz ermordet. Meinen Mann habe ich auf einer Israelreise kennengelernt. Wir lieben die Schweiz, doch manchmal vermissen wir das Warmherzige, das Offene, das Spontane. Vielleicht auch darum haben wir als jüdische Familie so viele italienische, katholische Freunde: zwei Minderheiten, die sich bestens verstehen.

Jules Bloch, Viehhändler

27. Juli 1947, Endingen

Schon mein Vater und mein Grossvater waren Viehhändler. Wir kommen aus Endingen, wo sich die Juden früher als im Rest der Schweiz niederlassen durften. Aber auch dort hatten sie nicht die gleichen Rechte. Konventionelle Berufe wie Schreiner oder Maurer durften die Juden nicht ausüben, und so wurden wir halt Viehhändler. Meine Vorfahren haben alle Surbtaler Jiddisch gesprochen, mit speziellen Ausdrücken auch für den Viehhandel. Einer Kuh sagt man «Bore», ein «Heier» ist ein Fünfliber. Die Bauern und die christlichen Händler haben sich die wichtigsten Ausdrücke angeeignet. Das Surbtaler Jiddisch war im Viehhandel so wichtig wie heute das Englisch, ohne das man im Geschäftsleben aufgeschmissen ist. Ich kenne einen alten christlichen Metzgermeister, der die Sprache noch besser spricht als ich. Antisemitismus habe ich nie erlebt, im Gegenteil. Ich habe viele nichtjüdische Freunde und Geschäftspartner.

Ariel Wyler, Agronom und Ökonom

18. Juni 1964, Zürich

Die breiten Streifen am Kragen verraten es, ich habe so einige Tage Dienst geleistet – alles in allem wohl über drei Jahre meines Lebens. Heute bin ich vom Rang her der höchste observante Jude der Schweizer Armee. Ob im Militär oder im Zivilleben, der Sabbat ist mir heilig: Wenn die Sonne am Freitagabend untergeht, verrichte ich – bis am Samstag die ersten drei Sterne am Nachthimmel erscheinen – keine Arbeit mehr. Dass ich trotzdem Offizier werden konnte, habe ich meinem damaligen Waffenchef zu verdanken. Und so sage ich heute ohne irgendwelche Zweifel: In der Schweizer Armee sind wir Juden zu 100 Prozent gleichberechtigt. Wenn ich in die Uniform steige, dann geschieht dies auch, weil ich der Gesellschaft dienen und meine Loyalität gegenüber dem Staat und seinen Institutionen ausdrücken will. Schon in der Mischna, der Niederschrift der mündlichen Tora steht, dass man für das Wohlergehen seiner Regierung beten soll. Gerade für eine Minderheit ist der Rechtsstaat zentral, weil ohne rechtsstaatliche Strukturen allein die Macht des Stärkeren herrscht. Wie meine Uniform trage ich als Schweizer Jude selbstbewusst eine Kippa auf dem Kopf. Wir Juden sind bereits mit den Römern in die Schweiz gekommen, früher als so manche andere. Und so sind wir ein kleiner, aber wesentlicher Teil dieser Schweizer Kultur.

Doris Cohen-Dumani, ehemalige Direktorin der Lausanner Polizei, Schuldirektorin und Abgeordnete

1946 in Alexandria geboren, Lausanne

Ich wurde im «Hôtel de Ville», im Gemeindehaus von Lausanne, eingebürgert. Welche Ironie des Schicksals, dass ich später – auf der Polizeidirektion – selber Schweizermacherin war! Bevor ich nach Lausanne kam, verbrachte ich eine glückliche Kindheit in Alexandria, der schönen Hafenstadt Ägyptens. Doch der plötzliche Ausbruch des Suez-Kriegs von 1956 hat uns, wie viele andere jüdische Familien, zur Flucht aus Ägypten gezwungen, überstürzt und unter schwierigen Umständen. Wir mussten alles zurücklassen: die Familie, die in alle Himmelsrichtungen zerstreut wurde, die Freunde, das Haus, unser ganzes Hab und Gut. Wir kamen praktisch mittellos und als Sans-Papiers in die Schweiz, da man unsere Ausweise konfisziert hatte. Die Ankunft in der Schweiz war für meine Eltern sehr schwierig. Mein Bruder und ich mussten uns ans waadtländische Schulsystem gewöhnen. Ich erinnere mich, wie ich in nur fünfzehn Tagen zwei Jahre Deutschunterricht nachholen musste. Doch diese Flüchtlingserfahrung hat mich gestärkt und gelehrt, die Schwierigkeiten im Leben zu meistern. Ich bin der Schweiz, meinem Gastland, sehr dankbar, denn dank ihr wurde es mir möglich, alle meine Träume zu verwirklichen. Ich bin sehr stolz, dass ich in der Schweiz eine innovative Lösung für Tagesstätten mitgestalten konnte, welche sowohl die öffentliche Hand als auch die Privatwirtschaft umfasst. Heute setze ich mich für verschiedene wohltätige Projekte ein und habe das Glück, als Präsidentin der City-Management-Stiftung Lausanne erneut für meine Stadt tätig zu sein.

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